Am 8. April 1945 wurde bei einem Luftangriff ein Transportzug voller KZ-Häftlinge im Celler Bahnhof getroffen, das Chaos ermöglichte vielen der ca. 4000 Menschen die Flucht. Nicht nur Greifkommandos aus Polizei und SS erschossen in den folgenden Tagen wahllos die Entflohenen, auch Zivilisten beteiligten sich unaufgefordert am Morden. Durch die späteren, von den Engländern geleiteten Prozesse als „Celle Massacre“ bekannt, trägt dieses Verbrechen im hiesigen kollektiven Gedächnis noch einen anderen Namen: „Celler Hasenjagd“. Was führt die Verrohung kleinbürgerlicher deutscher Rassenhass-Wüterei deutlicher vor Augen als dieser von ihr selbst geprägter Begriff? Die Berichterstattung zum folgenden Kriegsverbrecherprozesses (hier online zu finden) zeigt aufschlussreich, wie die Täter im hemmungslosen Machtgefühl ihrer Schusswaffen agierten, nur um später vor Gericht die eigene Schuld winselnd auf höhere Autoritäten zu schieben – und sich selber noch zum Opfer der Gehorsamserziehung zu stilisieren: „Im Kriegsverbrecherprozeß sagte die Zeugin Frieda Wolter am Dienstag aus, der Angeklagte Schwandt habe sie mit vorgehaltener Pistole am Verbinden eines Häftlings gehindert. Später habe der Angeklagte beim Anblick eines Zuges verwundeter Häftlinge gesagt: "Was? Die Schweine leben noch? Ich werde das meinige dazu tun!" […] „Schwandt bezeichnete sich als Opfer seines Berufes, der immer nur Gehorsam kannte“. Drei am 14. Mai 1948 ausgesprochene Todesurteile in diesem Prozess wurden übrigens nach Gnadengesuchen zu jeweils 20 bzw. 15 Jahren Haft umgewandelt. Was bleibt, ist die Widerlichkeit, einen Massemord zum Einen jahrzehntelang ganz entspannt in Vergessenheit geraten zu lassen und dann, sofern ab und zu erwähnt, salopp mit einer Tätigkeit zu bezeichnen die für die Täter vermutlich ein Sonntagsvergnügen darstellt - die Hasenjagd. Zynischerweise vor allem, da dieses Wort wohl auch noch treffend ist für die Art und Weise, wie damals die Betroffenen getötet wurden. Immerhin sind diese "Erinnerungslücken" mittlerweile beseitigt - dank stetiger Arbeit von Initiativen wie dem Historischen Stadtrundgang. Auch die empfehlenswerte Stadtzeitung Revista bringt aktuell einen Artikel dazu. Und darüber hinaus? Allerorts werden Flüchtlingswohnheime angegriffen, da der Alltagsrassismus den Feind so bequem greifbar vor der Haustür glaubt. Die Durchschnittskartoffel hat Bauchschmerzen und erteilt nicht etwa dem Konkurrenzkampf ne Absage, dem womöglich der eigene Arbeitsplatz zum Opfer fiel, sondern rennt zu Pegida und häuft stumpf die Schuld auf die paar Syrer, die es hierher schaffen oder halt die Pleitegriechen. Da scheint es umso wichtiger, die Geschichte nicht zu vergessen. |
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June 2017
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