Rettungsschiff AQUARIUS legt vor der Abfahrt ins Mittelmeer in Bremerhaven an Die mittlerweile gut bekannte Rettungsinitiative Sea-Watch macht es vor: Privatleute fassen den Entschluss, dass es so nicht weitergehen kann, dem Sterben vor Europas Küsten nicht länger zugesehen werden darf. Sie sammeln Spenden, rüsten ein Schiff aus und fahren los - mit Rettungsgerät und Erste-Hilfe-Ausrüstung an Bord. Kleinunternehmer, Ärzte, Studenten, Mechaniker. Sie tun das, was eigentlich Arbeit der europäischen Behörden wäre, Flüchtlinge retten. Doch die EU-Staaten, die sich ihre humanitäre Grundsetze so gern auf die Fahnen schreiben, haben bekanntermaßen anderes zu tun: Grenzen sichern, Schlepper bekämpfen. Und so blieb die Sea-Watch oft das einzige Schiff im betroffenen Seegebiet. Ein winziger Kutter, der nun, in der stürmischen Wintersaison, sowieso im Hafen bleiben muss (an einer größeren, wetterfesteren Sea-Watch 2 wird aber bereits gearbeitet). Um so erfreulicher ist es, dass ihr Beispiel nun Schule macht. Klaus Vogel, ehemaliger Kapitän auf Hochseefrachtern, gründete zusammen mit anderen SOS Mediterranee. In einem Artikel aus dem Tagesspiegel berichtet er von den Erlebnissen, die Ihn dazu motivierten: Frachter, auf denen er zur See fuhr, machten damals auf Anordnung des Kapitäns Umwege - Seegebiete mit vietnamesischen Bootsflüchtlingen wurden umfahren. „Scherereien vermeiden“, hieß es. Und heute? Anderes Meer, anderes Jahrzehnt, gleiches Kalkül. Wie sehr gleicht dieses Verhalten doch der heutigen „Grenzschutz-Über-Alles“- Mentalität Europas im Mittelmeergebiet! Denn solange die Rettung flüchtender Menschen vom Spendenstand einiger Privatinitativen abhängig ist, während staatliche Rettungsmissionen nicht weiter finanziert wurden, scheint Grenzschutz vor Rettung zu gehen. Flüchtlinge kosten Geld, also lieber im Zweifelsfall das Meer zum Grab machen. Schlepperbanden jagen und Grenzen patroulieren. Es drängt sich geradezu auf: Menschen zu retten, dieses Verlustgeschäft mit all der teuren Versorgung, den Asylanträgen und Familiennachzug - das drückt die Profitbilanz. Dort, wo niemand das ewige Mantra vom Wachstum und der Diktatur der freien Märkte in Frage stellen darf, wird lieber zu bewährten Methoden gegriffen: Mein Zaun ist höher als deiner. Und so obliegt es Privatinitiativen und Spendenaufrufen, um den letzten Rest an Humanität zu gewährleisten, während im Namen der Flüchtlingsabwehr noch der hinterletzten Autokrat Geld in den Rachen bekommt. Umso emphatischere Worte wählt der genannte Artikel über das Rettungsvorhaben der AQUARIUS: „Es haben schon neue Zeitalter begonnen, nur weil ein Schiff ausgelaufen ist. Es nahm Kurs auf die offene See, und wenn daran auch nichts Außergewöhnliches war, so hatte sich die Welt doch verändert“. Nun, auch wenn es nicht gleich eine solche Revolution werden sollte - ich wäre auch mit einer erfolgreicher Rettungsmission erst mal echt zufrieden.
Für dreieinhalb Monate reichen die Mittel von SOS-Mediterranee, um im Mittelmeer aktiv zu sein Und das Wetter ist nun bestimmt kein unüberwindbares Problem mehr: 77 Meter lang ist die AQUARIUS, 200, notfalls sogar 500 Gerettete kann sie versorgen. Letzte Woche Donnerstag lag sie in Bremerhaven und war dort zu besichtigen, bevor die Reise ins Mittelmeer los ging. Inzwischen auf dem Weg, wird sie bald vor Lampedusa im Einsatz sein. Viel Glück!
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...und andere Untiefen der Halbzeitwerbung Die Halbzeit beim Fußballspiel ist wie für Werbeeinblendungen gemacht, das ist eigentlich keine Neuigkeit. Man ist sich der Zielgruppe sicher und noch wichtiger, sie ist groß. Das gilt natürlich vor allem für jede WM. Als wäre die Halbzeit nur aus Marketinggründen entstanden - sie ist der Traum eines jeden Publicity-Consumerrelations-Managers. In einer Bar im nordspanischen San Sebastian (eine eigenwillige Mischung aus schickem, überteuerten Badeort, Alternativhippiepunkrock- Straßenzügen und Baskenland-Unabhängigkeitsparolen) wurde ich dank verlässlich laufender Spielübertragung Zeuge einiger der üblichen Werbekracher.
Den Anfang machte Budweiser. Erhabene, um nicht zu sagen protzige Schwarz-Weiß-Ästhetik, kurzer Kameraschwenk über eine wolkenkratzige Stadtlandschaft. Klar, das S/W hier das Mittel der Wahl ist, selbst ein graues Urban-Dystopia sieht dann ja auch so wunderbar kontrastreich aus. Hell, dunkel, Schlagschatten, Cool. Feinstes Leni Riefenstahl-Repertoire. Doch bei all dem Großstadtkulissenchic kräht am Anfang - traditioneller gehts kaum - ein Hahn (Wirklich!). Auf dieses Komando hin nimmt ein - natürlich gut durchtrainierter - Mann Anlauf und kickt einen Fußball vom Dach eines kreisrunden Wolkenkratzers, der gleich darauf, oh welch Überraschung, direkt in einem Tor landet. Jubel brandet, natürlich zischen auch die Kronkorken. Slogan des Ganzen? "Rise as One" - der Volkssturm zum Bier sozusagen. Hab ja gleich gesagt, das Leni Riefenstahl Gefallen daran gefunden hätte. So schnell wie der Ball soll halt auch der Rubel rollen...und es scheint kein Geschäft zu geben, das nicht mit König Fußball beflügelt werden soll. Visa zum Beispiel, weil der Fußballer dank bargeldlosen Kauf sich noch blitzschnell sein Trikot am Cornerstore holen kann und es so noch gerade rechtzeitig zum Anpfiff schafft. Alles klar. Übrigens gibt man sich im Bezug auf Geschlechterrollen hier mal abseits der Norm. Bekanntermaßen sind die ja bei der Männerfußball-WM recht (über)deutlich verteilt, im Visa-Spot sprintet anstelle der meistens männlichen jungen Fans, die den Einlauf begleiten, ein Mädchen mit aufs Feld. Equality sells? Heimwerker - Idyll und FIFA-Gebrabbel Fasst unbemerkt hat sich auch eine gänzlich unfußballerische Werbung mit eingeschlichen - so unglaublich übersteigert regelkonform die heile Welt der bürgerlichen Kleinfamilie vorführend, wie es außer dem Werbefernsehen wahrscheinlich sonst nur der öffentlich-rechtliche Heimatfilm kann. Während Frau über die Auswahl der Tapetenfarbe grübelt, legt der jungdynamische Familienvater Parkett im Akkord. Die nächste Einstellung zeigt Papi dann (wie könnte es anders sein!) am Grill, die Kinder haben schonmal den Gartentisch gedeckt. Die perfekte kleine Welt aus dem Heimwerkermarkt. Wäre nicht Fußball, wären die Zuschauer jetzt womöglich eingeschlafen oder hätten weitergeschaltet. Ach stimmt, Fußball, eigentlich ging es ja darum. Da braucht es dann schon das Worthülsengetöse der FIFA, damit die Spannung wieder auf WM-Niveau gebracht ist - "For the Game - for the World" dröhnt es dahin. Die Arbeiter, die jetzt gerade in Katar den nächsten Kollegen aus dem Baustellenstaub kratzen, fühlen sich bestimmt angesprochen. Aber wenn es dann, Hyundai sei dank, "Mundial-somos todos" heißt, ist die Welt wieder in Ordnung - das Spiel kann weitergehen. P.S.: Bei den weltmeisterlichen Getränkepreisen in San Sebastian schlugen die Nebenkosten dieser Beobachtungen mit etwa 9 Euro zu Buche. Fällt das unter "Recherchekosten"?! |