Auf den ersten Blick folgt in San Sebastian alles den Regeln eines typischen Küstenorts mit Schickeria-Strandpromenadentradition. Soll heißen: Futter und Getränke 2-3 mal so teuer wie normal, die erwähnten Promenaden und Sandstrände mit großbürgerlich wirkenden Gebäuden umrahmt, auf Touris ausgerichtet - und Dank der Umgebung, die hier vermarktet wird, trotz all dem noch schön. Auch bei schwankenden Wetterverhältnissen: Doch ganz so sorgenfrei-urlaubsidyllisch ging (und geht) es in der Gegend natürlich nicht immer zu. Und an vielen Stellen sind Anzeichen einer ordentlich aktiven Gegenkultur zu finden... Erstaunlicherweise scheint sich mitten in dieser polierten, fürs Vergnügen, den Genuss und das Geschäftemachen hergerichteten Umgebung auch eine Hochburg sozialer Bewegungen und alternativer Szene zu behaupten. In den Gassen der Altstadt ist manch verbarrikadierter Eingang leerstehänder Läden zur Plakatierfläche für Punkrock- und Hardcoreshow- Plakate im DIY-Stil geworden. Zugegebenerweise sprengt das meine Erfahrung, die sich bislang darauf verließ, dass solche Oasen selbstorganisierter Konzert- und Veranstaltungskultur normalerweise Viertel bevorzugen, in denen das 3-Euro-Bier nicht auch noch von durstigen Touristen (wie mir in diesem Fall) weggeschlürft wird. Wer dem näher auf den Grund gehen möchte und sich für gesellschaftliche Hintergründe und Geschichte interessiert, findet im örtlichen San Telmo-Museum reichlich Informationen dazu. Ungewöhnlich genau wird hier auf die sozialen Bewegungen der Umgebung eingegangen: von den Industrien und ihrer Arbeiterbewegung, der Problematik der baskischen Unabhängigkeit, bis hin zur jüngsten Zeit, als die Gegend zum Zentrum einer starken Umwelt- und Antiatombewegung wurde. Anscheinend war hier in den 80er-Jahren ebenfalls ein Zentrum politischer, protestorientierter Musik. Selten für ein ganz normales staatliches Museum, dass sich der Bogen einer Ausstellung bis hin zur zeitgenössischen Rock- Punkrock- und Hardcorekultur spannt, Plattencover und Demofotos die Ausstellung zieren und die Vielfalt der Bewegungen von Umweltprotesten bis Feminismus ausdrücklich Erwähnung findet. So war mir dann auch der Zusammenhang klar, woher der "Punkrockfaktor" kommt, der sich so ganz unerwartet in die tourismusdominierte Atmosphäre dieses Ortes mischt. Lesen konnte ich die entsprechende Plakate auf der Straße übrigens noch weniger, als wenn sie auf Spanisch gewesen wären: baskischer Unabhängigkeitskulturalismus scheint fester Bestandteil sämtlicher linken oder alternativen Bewegung zu sein; Spanisch ist "kastilianisch" und irgendwie kolonialmachts-anrüchig, also ist alles auf "Vasco". Schön und Gut, aber wenn nix zu verstehen ist, ist es mit der Solidarität, ja überhaupt dem sich-informieren schon schwierig, oder? Hauptsache, man weiß, wo man ist: "Tourist Remember You are in Basque Country" heißt es vollmundig. Mit den Infos aus dem Museum zusammen mit einem aufmerksamen Blick auf der Straße kommt man dann schnell auf einiges, was von dem heutigen Idyll Lichtjahre entfernt scheint.
So etwa, dass sich in den 80er-Jahren die ETA, militanter Arm baskischer Unabhängigkeitsbestrebungen, Ziele der Umweltbewegung zu Eigen machte und mehrere Anschläge auf eine AKW-Baustelle in Lemóniz bei Bilbao verübte. Schließlich wurde ein Chefingenieur gekidnapt und später getötet. Die permanente Bedrohung war schließlich das Ende des Projekts: kein Arbeiter wollte mehr riskieren dort zu arbeiten; die Verluste waren zu groß und so ist das nie fertiggestellte Kraftwerk bis heute eine Ruine. Traurig, aber allzu logisch zeigt diese Episode wohl die nahezu vollkommene Unmöglichkeit, ein Anliegen wider herrschende Interessen friedlich durchzustzen: unschädlich und allzu leicht ignorierbar der friedliche Protest. Erst als es den Betreibern finanziell "wehtat", bedingt durch gehäufte Angriffe auf Firmenbüros, konnte das Anliegen durchgesetzt werden. Geradezu ein Lehrstück in Sachen Machtverhältnisse also, dem zahlreiche Unschuldige zum Opfer fielen. Und wie so oft bekamen es die friedlichen Demonstranten dann auch noch mit einer brutalstmöglichen Polizei zu tun, eine Demonstrantin aus San Sebastian wurde von der Guardia Civil getötet. Angesichts dieser Ohnmacht wurde das Vorgehen der ETA zu weiten Teilen unterstützt. Gewaltlos und doch Gewalt ausgesetzt, am Ende gar: ohne Gewalt kein Erfolg?! Das Bild jener Demonstrantin von damals ziert jedenfalls heute noch die Straßen, wenn auch unbeachtet unter den Passanten, die Richtung Bar streben. Was da geboten wird ist schließlich schmackhaft und verursacht mit Sicherheit weniger Magenschmerzen als ETA, Atomkraft oder Todesschüsse.
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